Thursday, February 17, 2011

BVerfG zu Arbeitnehmerrechten beim gesetzlich vollzogenen Arbeitgeberwechsel bei Privatisierung

Im Jahr 2005 kam das Land Hessen vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Probleme der Universitätskliniken zu dem Entschluss, die Universitätskliniken Gießen und Marburg zusammenzufassen und sodann zu privatisieren. Das hierzu erlassene und am 1. Juli 2005 in Kraft getretene Gesetz über die Errichtung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg (UKG) regelt, dass alle Rechte, Pflichten und Zuständigkeiten der bislang selbständigen Universitätskliniken im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf das „Universitätsklinikum Gießen und Marburg” als neu errichtete Anstalt des öffentlichen Rechts übergehen. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 UKG wurden die Arbeitsverhältnisse der in der Krankenversorgung und Verwaltung der beiden Kliniken tätigen nichtwissenschaftlichen Beschäftigten, die bis dahin im Dienst des Landes Hessen standen, auf das Universitätsklinikum Gießen und Marburg übergeleitet. Eine der Vorschrift des § 613a Abs. 6 BGB entsprechende Regelung, die bei einem rechtsgeschäftlichen Betriebsübergang den betroffenen Arbeitnehmern ein Widerspruchsrecht gegen den Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf den neuen Betriebsinhaber einräumt, wurde nicht aufgenommen.

Das Gesetz enthält ferner die Ermächtigung, die neue Anstalt im Wege der Rechtsverordnung zu privatisieren. Die Privatisierung erfolgte 2006. Das Universitätsklinikum Gießen und Marburg wurden in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umgewandelt. Das Land verkaufte 95 % der Geschäftsanteile der neu geschaffenen Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH an einen privaten Krankenhausbetreiber, der sich verpflichtete, bis Ende 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen.

Die Beschwerdeführerin war als Krankenschwester und damit als nicht wissenschaftlich tätige Arbeitnehmerin des Klinikums Marburg beim Land beschäftigt. Sie widersprach dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf das Universitätsklinikum Gießen und Marburg und später auf die GmbH. Ihre Klage gegen das Land Hessen auf Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis mit dem Land fortbesteht, hatte zwar vor dem Arbeitsgericht, nicht aber vor dem Landesarbeitsgericht und dem Bundesarbeitsgericht Erfolg. Der Beschwerdeführerin stehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Widerspruchsrecht zu. Sowohl die Überleitung der Arbeitsverhältnisse als auch die Nichteinräumung eines Widerspruchsrechts sei durch vernünftige Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen eine Verletzung ihres Grundrechts auf freie Wahl bzw. Beibehaltung des Arbeitsplatzes. Zudem sei sie in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt, weil das Bundesarbeitsgericht vorab dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage hätte vorlegen müssen, ob sich aus dem Gemeinschaftsrecht (Richtlinie 2001/23/EG) ein Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer ergebe.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die durch § 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 UKG angeordnete und von den Fachgerichten bestätigte Überleitung des Arbeitsverhältnisses vom Land auf das Universitätsklinikum Gießen und Marburg mit dem durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes unvereinbar ist. Der Landesgesetzgeber ist verpflichtet, bis spätestens zum 31. Dezember 2011 eine Neuregelung zu treffen. Die angegriffenen Urteile sind aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht mit der Maßgabe zurückverwiesen worden, das Verfahren bis zu einer Neuregelung auszusetzen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen die folgenden Erwägungen zugrunde:

1. Der Landesgesetzgeber greift in die durch Art. 12 Abs. 1 GG garantierte freie Wahl des Arbeitsplatzes ein, indem aufgrund der Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 UKG das Universitätsklinikum als rechtsfähige Anstalt zum Arbeitgeber der Beschwerdeführerin wird. Dadurch wird ihr ein neuer, von ihr nicht frei gewählter Arbeitgeber aufgedrängt. Zugleich wird den betroffenen Arbeitnehmern unmittelbar der von ihnen gewählte Arbeitgeber entzogen. Besonderes Gewicht erhält der Eingriff zudem dadurch, dass aufgrund der geplanten Privatisierung mit der Versetzung der Arbeitnehmer an das Klinikum ein Prozess in Gang gesetzt wird, der sie nicht nur aus dem Landesdienst, sondern letztlich auch aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 UKG durch Einräumung eines Widerspruchsrechts entsprechend § 613a BGB scheidet angesichts der bewussten Entscheidung des Landesgesetzgebers gegen ein Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer aus.

Dieser durch § 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 UKG bewirkte Eingriff in das Grundrecht der Berufsfreiheit ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Das angegriffene Gesetz dient der Durchführung der Privatisierung der Universitätskliniken, die als solche eine legitime Wahrnehmung der Organisationsgewalt des Landes ist. Die Nichteinräumung eines Widerspruchsrechts hatte aus der Sicht des Landesgesetzgebers das Ziel, die Privatisierung zu erleichtern, und kann insofern noch als geeignet und erforderlich angesehen werden. Der Umstand, dass der Landesgesetzgeber zur Erleichterung seiner Privatisierungsentscheidung als Arbeitgeber die Privatautonomie seiner Arbeitnehmer beschneidet, macht die Regelung jedoch unverhältnismäßig.

Denn die in § 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 UKG ausgestaltete Überleitung der Arbeitsverhältnisse bewirkt eine Loslösung des Landes von eingegangenen arbeitsvertraglichen Bindungen, ohne dass bei einem entgegenstehenden Willen des Arbeitnehmers die Einhaltung kündigungsrechtlicher Vorschriften sichergestellt werden muss. Dadurch wird dem Arbeitnehmer ein erhebliches Maß an Bestandsschutz entzogen. Die Ausübung eines Widerspruchsrechts ließe das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbestehen. Wenn in dessen Betrieb der Beschäftigungsbedarf wegfiele, käme zwar eine betriebsbedingte Kündigung in Betracht, die aber den Anforderungen des Kündigungsschutzgesetzes standhalten muss. Ob es dem Arbeitnehmer gelingt, seine Beschäftigung beim bisherigen Arbeitgeber auf Dauer beizubehalten, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die Abwägung der damit verbundenen Risiken muss aber der privatautonomen Entscheidung des Arbeitnehmers vorbehalten bleiben. Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie des Arbeitnehmers erlaubt Gesetzgeber und Gerichten nicht, kraft vermeintlich besserer Einsicht die Entscheidung, welcher von mehreren zur Auswahl stehenden Arbeitgebern mehr Vorteile bietet, an Stelle des Arbeitnehmers zu treffen.

Jedenfalls dann, wenn der Wechsel des Arbeitgebers unmittelbar kraft Gesetzes aus der Beschäftigung bei einem öffentlichen Arbeitgeber zu einem privaten Arbeitgeber führt oder wenn es sich - wie hier - um einen Zwischenschritt zu einer beabsichtigten Privatisierung handelt, muss der Gesetzgeber das Grundrecht des Arbeitnehmers auf freie Wahl des Arbeitsplatzes schützen. Denn das Land tritt in einem Privatisierungsprozess in einer Doppelrolle auf, nämlich sowohl als (bisheriger) Arbeitgeber wie als Gesetzgeber, der sich selbst unmittelbar durch Gesetz aus der Arbeitgeberstellung löst und sich damit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten entzieht. Damit ist zwar nicht gerade die Vorschrift des § 613a Abs. 6 BGB verfassungsrechtlich geboten. Soweit die in § 3 Abs. 1 Satz 1 und 3 UKG geregelte Überleitung des Arbeitsverhältnisses aber überhaupt keine Möglichkeit bietet, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zum Land geltend machen zu können, stellt dies eine unverhältnismäßige Beschränkung des durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesses der betroffenen Arbeitnehmer an der Beibehaltung des gewählten Vertragspartners dar, die durch die mit der Privatisierung verfolgten Ziele nicht gerechtfertigt ist.

2. Dagegen ist die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Bundesarbeitsgericht von einem Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV abgesehen hat. Insbesondere konnte es vertretbar davon ausgehen, dass es für ein Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer bei einem Betriebsübergang an einer europarechtlichen Grundlage fehlt. Weder die Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG selbst enthält eine Vorschrift zum Widerspruchsrecht noch hat der Gerichtshof aus der Richtlinie ein Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer abgeleitet. Vielmehr hat er in den Urteilen, in denen er sich mit Fragen zum Widerspruchsrecht auseinandergesetzt hat, betont, dass die in der Richtlinie 2001/23/EG angeordnete Rechtsfolge des Betriebsübergangs, das heißt der Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber, zwingend ist. Den Grundrechten der Arbeitnehmer ist aus Sicht des Gerichtshofs nur geschuldet, dass sie sich gegen die durch den Betriebsübergang bewirkte Begründung einer arbeitsvertraglichen Beziehung mit dem Betriebserwerber entscheiden können. Er hat es aber ausdrücklich abgelehnt, den Zweck der Richtlinie auch darin zu sehen, dass die Arbeitnehmer, die ihre Tätigkeit nicht für den Betriebserwerber ausüben wollen, das Arbeitsverhältnis mit dem Veräußerer fortsetzen können.

(Quelle: BVerfG, Pressemitteilung vom 16.02.2011 zum Beschluss 1 BvR 1741/09 vom 25.01.2011)

Monday, February 14, 2011

PKW-Reparatur mit Gebrauchtteilen bis zur Grenze von 130 Prozent möglich

Ein Unfallgeschädigter kann von der Versicherung des Unfallgegners die für die Reparatur seines Fahrzeuges erforderlichen Reparaturkosten bis zu einer Grenze von 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes des beschädigten Fahrzeuges verlangen. Die hierfür erforderlichen Daten kann der Geschädigte am besten einem Schadengutachten entnehmen, wenn er ein solches in Auftrag gegeben hat. Liegt der Wiederbeschaffungswert des PKW z. B. bei 10.000 EUR, so kann für bis zu 13.000 EUR repariert werden, vorausgesetzt die Reparatur erfolgt fachgerecht und zumindest wertmäßig in einem Umfang, wie sie der Sachverständige in seinem Schadengutachten zugrunde gelegt hat - soweit die bislang gängige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH).

In einer aktuellen Entscheidung hat sich der BGH mit der Frage befasst, ob dies auch dann gilt, wenn der Geschädigte die Reparatur nicht mit Neu-, sondern mit Gebrauchtteilen durchführen lässt (BGH v. 14.12.2010, Az.: VI ZR 231/09). Im zugrunde liegenden Fall beliefen sich die Reparaturkosten auf 3.746,73 EUR, der Wiederbeschaffungswert auf 2.200 EUR und der Restwert des Fahrzeuges auf 800 EUR. Der Gutachter hatte die Reparaturkosten (wie üblich) mit Neuteilen kalkuliert. Die Geschädigte ließ ihr Fahrzeug für 2.139,70 EUR kostengünstiger mit Gebrauchtteilen reparieren und verlangte diesen Betrag von der Versicherung. Nach der Entscheidung des BGH standen ihr diese tatsächlich entstandenen Reparaturkosten auch zu. Wenn also der Gutachter in seiner Kalkulation zu dem Ergebnis gelangt, dass die Reparaturkosten die 130-Prozent-Grenze übersteigen, kann es sich für den Geschädigten empfehlen, eine Kalkulation unter Verwendung von Gebrauchtteilen erstellen zu lassen. Ggf. liegt diese dann unter der 130-Prozent-Grenze. Anderenfalls wäre nämlich nur der Wiederbeschaffungsaufwand zu ersetzen, also Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert: Im Fall des BGH 2.200 EUR ./. 800 EUR = 1.400 EUR.

Thursday, February 10, 2011

Versuchter Betrug - Bundesgerichtshof hebt Urteil Landgericht Augsburg auf

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 12.01.2011 (1 StR 540/10) eine Revision des Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Augsburg vom 21. Mai 2010 aufgehoben.

Die Feststellungen im Urteil des Landgerichts Augsburg lauteten im Wesentlichen wie folgt: Seit 2002 arbeitete der Angeklagte für die 1923 geborene Frau J. als Hausmeister. Nachdem diese im September 2005 schwer gestürzt war, kümmerte er sich gegen entsprechendes Honorar u.a. auch um deren körperliche Hygiene und Verpflegung. Im August 2008 erklärte sich Frau J. mit dem Vorschlag des Angeklagten einverstanden, ihm das ihr gehörende Grundstück, dessen Verkehrswert das Urteil nicht mitteilt, zu schenken. In dem darauf stehenden Haus sollte sie weiterhin unentgeltlich wohnen dürfen und vom Angeklagten wie bisher gepflegt werden. Bei diesem Gespräch spiegelte der Angeklagte Frau J. „bewusst wahrheitswidrig ... vor, dass für die Übertragung des Anwesens Schenkungssteuer in Höhe von 150.000 € anfallen würde", obwohl er „wusste, dass die Steuer wesentlich niedriger ... sein", nämlich 81.175,40 € betragen würde. Da der Angeklagte sie nicht hätte bezahlen können, willigte Frau J. ein, ihm 150.000 € zusätzlich „zur Begleichung der anfallenden Schenkungssteuer zu schenken". Mitte September 2008 beauftragte der Angeklagte einen befreundeten Rechtsanwalt, einen Überlassungsvertrag zu entwerfen. Nachdem der Angeklagte den Vertragsentwurf gebilligt hatte, übersandte ihn sein Rechtsanwalt an einen Notar. Zu der Beurkundung kam es nicht mehr, weil der Angeklagte am Vormittag des genannten Tages festgenommen wurde.

Der Bundesgerichtshof beanstandete die Feststellungen des Landgerichts Augsburg, welches einen Rücktritt vom Versuch gemäß § 24 StGB verneint hatte.

Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Abgrenzung der sogenannte Rücktrittshorizont, d.h. die Vorstellung des Täters nach der letzten Ausführungshandlung maßgeblich.

Das Urteil des Landgerichts Augsburg enthält hierzu keinerlei Feststellungen. Diese zu treffen, so die Ausführungen des Senats, hätte aber schon wegen der Ausgestaltung des dem Notar übermittelten Entwurfs eines Übernahmevertrages Anlass bestanden. Der Vertragsentwurf verwies auf die Möglichkeit, dass die insgesamt fällig werdende Steuer weniger als 150.000 € ausmachen könnte. Der Notar wäre verpflichtet gewesen wäre, dies Frau J. vor der Beurkundung vorzulesen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 BUrkG).

Tuesday, February 1, 2011

Internet und Arbeitsplatz

Ein Klassiker im Arbeitsrecht ist die Frage, inwieweit das Surfen im Internet am Arbeitsplatz während der Arbeitszeit eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers begründet und gegebenenfalls Konsequenzen nach sich zieht.

Die Arbeitsgerichte bis hoch zum Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt haben sich seit Jahren mit dieser Problematik zu beschäftigen, da es immer wieder zu Kündigungen wegen des privaten Surfens im Internet während der Arbeitszeit gekommen ist und sich die Frage stellt, ob dies verhältnismäßig ist.

Ein Leitsatz des Landesarbeitsgerichts (LAG) Rheinland-Pfalz zu dem Aktenzeichen 10 Sa 505/07 lautet dazu, dass ein Arbeitnehmer nur bei ausschweifender Nutzung des dienstlichen Computers zu privaten Zwecken fristlos vom Arbeitgeber gekündigt werden darf.

Was aber bedeutet „ausschweifend” in diesem Zusammenhang? Wann ist eine Nutzung „ausschweifend?”

Klar ist jedenfalls, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers, der nicht ausschweifend privat im Internet surft, nicht gerechtfertigt ist und eine Abmahnung des vertragswidrigen Verhaltens voraussetzt.

Im erwähnten Fall hatte der Kläger regelmäßig an verschiedenen Tagen für einige Minuten den PC des Arbeitgebers für private Zwecke gebraucht. Das Gericht sah dies noch nicht als ausschweifend an und gab der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt.