Wednesday, August 24, 2011

BAG: Verfall von (angesammelten) Urlaubsansprüchen Langzeiterkrankter

Auch Langzeiterkrankte müssen ihren (ggfs. angesammelten) Urlaub nach ihrer Gesundung im laufenden Kalenderjahr nehmen, andernfalls verfällt dieser - so das BAG in einem Urteil vom 09.08.2011.

Rechtsvorschriften

Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG muss der Erholungsurlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Fall der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahrs gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG).

Sachverhalt

Die Parteien verbindet seit 1991 ein Arbeitsverhältnis. Der jährliche Urlaubsanspruch des Klägers beträgt 30 Arbeitstage. Der Kläger war im Zeitraum vom 11. Januar 2005 bis zum 6. Juni 2008 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und nahm danach die Arbeit wieder auf. Im weiteren Verlauf des Jahres 2008 gewährte die Beklagte dem Kläger an 30 Arbeitstagen Urlaub. Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung, dass ihm gegen die Beklagte ein aus den Jahren 2005 bis 2007 resultierender Anspruch auf 90 Arbeitstage Urlaub zusteht.

Entscheidung BAG

Die Klage hatte vor dem 9. Senat - ebenso wie schon in den Vorinstanzen - keinen Erfolg.

Der von dem Kläger erhobene Urlaubsanspruch ging spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008 unter. Mangels abweichender einzel- oder tarifvertraglicher Regelungen verfällt der am Ende des Urlaubsjahrs nicht genommene Urlaub, sofern kein Übertragungsgrund nach § 7 Abs. 3 BUrlG vorliegt. Dies ist jedenfalls in den Fällen anzunehmen, in denen der Arbeitnehmer nicht aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen, etwa aufgrund von Arbeitsunfähigkeit, an der Urlaubnahme gehindert ist.

Übertragene Urlaubsansprüche sind in gleicher Weise befristet. Wird ein zunächst arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer im Kalenderjahr einschließlich des Übertragungszeitraums so rechtzeitig gesund, dass er - wie hier - in der verbleibenden Zeit seinen Urlaub nehmen kann, erlischt der aus früheren Zeiträumen stammende Urlaubsanspruch genauso wie der Anspruch, der zu Beginn des Urlaubsjahrs neu entstanden ist.

Der Senat hat die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang Arbeitnehmer Urlaubsansprüche über mehrere Jahre ansammeln können, offengelassen.

(BAG, Urteil v. 9. August 2011 - 9 AZR 425/10)

Quelle: PM des BAG vom 09.08.2011

Praktische Konsequenzen

Diese sind sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber von zweischneidiger Art.

Arbeitnehmer: Macht er seinen Urlaub nicht rechtzeitig geltend, ist der Urlaub verfallen; macht er ihn rechtzeitig geltend, kann dies dazu führen, dass er sich nach langer Krankheit auf einen langen Urlaub freuen kann, so, wenn er über Monate, wenn nicht gar Jahre, krank war.

Arbeitgeber: Macht der Arbeitnehmer seine Ansprüche nicht im laufenden Jahr geltend, ist der Urlaubsanspruch verfallen; will der Arbeitnehmer einen Verfall verhindern, und wird er erst im 3. oder gar 4. Quartal eines Jahres gesund, ist er gezwungen, sofort oder demnächst den gesamten Urlaub anzutreten, um einen Verfall zu verhindern, das gilt jedenfalls dann, wenn er eine beträchtliche Anzahl von Urlaubstagen angesammelt hat.

Achtung: Urlaubsansprüche verfallen jedoch nur insoweit, wie sie tatsächlich im verbleibenden Kalenderjahr vom Arbeitnehmer hätten genommen werden können. Zu beachten ist ferner, dass vertragliche oder tarifliche Regelungen oft längere Übertragungszeiten als das Gesetz vorsehen.

Monday, August 15, 2011

Drogen im Straßenverkehr – Führerscheinmaßnahmen

Die Teilnahme am Straßenverkehr nach vorausgegangenem Betäubungsmittelkonsum kann im Einzelfall eine strafbare Handlung begründen; in jedem Fall stellt ein solches Verhalten eine Verkehrsordnungswidrigkeit dar. Zudem können Maßnahmen bezüglich der Fahrerlaubnis ergriffen werden.

I. Allgemeines

Eine strafbare Handlung in Form der Trunkenheitsfahrt nach § 316 StGB setzt stets eine absolute bzw. relative Fahruntüchtigkeit voraus. Dies erfordert seinerseits mindestens die Feststellung von rauschgiftbedingten Ausfallerscheinungen; allein aus der Tatsache des Konsums von Betäubungsmitteln lässt sich eine strafbewehrte Fahruntüchtigkeit noch nicht ableiten. Kommt es infolge der rauschmittelbedingten Fahruntüchtigkeit zu einer konkreten Verkehrsgefährdung, kann zudem eine Strafbarkeit nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB gegeben sein. Die Teilnahme am Straßenverkehr nach dem vorausgegangenen Konsum von berauschenden Mitteln stellt aber in der Regel einen Verstoß gegen § 24a Abs. 2 StVG dar. Zwar müssen auch hier bestimmte Grenzwerte überschritten sein, was jedoch nach unmittelbar vorausgegangenem Konsum stets der Fall sein wird. Wird eine der Substanzen - Cannabis, Heroin, Kokain, Morphin, Amphetamin - nachgewiesen, beträgt die Geldstrafe in der Regel 250 € bei einem erstmaligen Verstoß und 500 - 750 € im Wiederholungsfall. Einschneidender als die Verhängung einer Geldbuße ist für die Betroffenen jedoch häufig die im Zusammenhang mit Betäubungsmittelkonsum verhängte Führerscheinmaßnahmen.

Hier ist wie folgt zu unterscheiden:

II. Folgen bei Verstößen gegen Strafvorschriften

Erkennt die Polizei in dem Verhalten des Betroffenen eine der oben genannten strafbaren Handlungen, ist sie zur Einhaltung des Führerscheins berechtigt. Rechtsgrundlage der Beschlagnahmung ist eine so genannte Gefahr im Verzug (§§ 98, 94 StPO). Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass ein Strafverfahren gegen den Fahrzeugführer eingeleitet wird und ihm in diesem die Fahrerlaubnis endgültig entzogen wird, kann das Gericht bereits vor Klageerhebung die Fahrerlaubnis vorläufig entziehen (§ 111a StPO). Ein solcher Beschluss kann mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angegriffen werden. Erfolgt in dem Hauptverfahren eine Verurteilung wegen des Straßenverkehrsdelikts, kann die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werden. Hierbei setzt das Gericht regelmäßig eine sog. Sperrfrist fest, also eine Bestimmung des Zeitraums, in welchem keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf. Die Länge der Sperrfrist beträgt zwischen sechs Monaten und fünf Jahren. In Einzelfällen ist auch eine lebenslange Sperrfrist möglich. Das Mindestmaß der Sperrfrist beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist. Die Dauer der Entziehung hängt hierbei von einer Prognose darüber ab, wie lange von einer Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgegangen werden muss. Zu beachten ist, dass die Sperrfrist auch nachträglich verkürzt werden kann.

III. Folgen bei Ordnungswidrigkeiten

Insbesondere bei Wiederholungstätern besteht aber die Gefahr, dass die Verkehrsordnungsbehörde die Angelegenheit an die Führerscheinbehörde abgibt, welche dann die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis anordnen kann, soweit die Voraussetzungen hierfür vorliegen. Überprüft wird in diesem Zusammenhang stets die so genannte „Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen". Eine solche ist gem. § 2 Abs. 4 StVG nicht gegeben, wenn „der Führerscheininhaber die notwendigen körperlichen oder geistigen Anforderungen nicht erfüllt und wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat". Ein solcher Eignungsmangel wird stets angenommen bei nachgewiesenem Betäubungsmittelkonsum mit Ausnahme von Cannabis. Bei nachgewiesenem Cannabiskonsum ist danach zu differenzieren, ob einmaliges, gelegentliches oder ein regelmäßiges Konsumverhalten gegeben ist. Regelmäßiger Konsum wird in der Regel angenommen, soweit der Betroffene wöchentlich oder häufiger Cannabisprodukte konsumiert, was im Zweifelsfall von der Führerscheinbehörde zunächst angenommen wird, jedoch von dem Betroffenen durch ein entsprechendes - selbst zu finanzierendes - Blutgutachten widerlegt werden kann. Andernfalls ist von einem gelegentlichen Konsumverhalten auszugehen. In solchen Fällen darf der Betroffene den Führerschein behalten, soweit die folgenden Voraussetzungen gegeben sind:

- Trennung von Konsum und Autofahren

- kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol oder anderen psychoaktivwirkenden Stoffen

- keine Persönlichkeitsstörung

- kein Kontrollverlust

IV. Wiedererteilung der Fahrerlaubnis

Soweit keine Sperrfrist angeordnet worden ist, wird der Führerschein nach einer Entziehung in der Regel dann wieder erteilt, wenn eine einjährige, durchgängige Drogenabstinenz nachgewiesen wird. Dieser Nachweis ist durch regelmäßige Drogenscreenings zu führen

Friday, August 5, 2011

Nachstellung – Stalking: Verteidigungsstrategien im Ermittlungsverfahren

Nach § 283 Abs. 1 StGB wird bestraft, wer „einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich (es folgt eine Aufzählung von unterschiedlichen Begehungsmethoden) ...und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt."

Kommt das Gespräch in der Freizeit auf das Thema Stalking bzw. Nachstellung, ist bei Nichtjuristen oft eine falsche Vorstellung von der Reichweite der Norm festzustellen. Insbesondere wird fälschlicherweise davon ausgegangen, dass alleine die Tätigkeit des Nachstellens ausreichend sei, um ein strafbares Handeln zu begründen. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Vielmehr hat der Gesetzgeber den Straftatbestand der Nachstellung als sogenanntes Erfolgsdelikt konzipiert. Demnach muss die Handlung auf Seiten des Betroffenen zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung führen, also dieser Zustand bei dem betroffenen Opfer eintreten.

Welche hohen Anforderungen an eine solche Beeinträchtigung gestellt werden, verdeutlicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Eine derartige Beeinträchtigung wurde beispielsweise angenommen, bei zwangsweiser Namensänderung des Betroffenen bzw. eines Umzugs ins Ausland infolge der Nachstellungen. Dass derart schwerwiegende Beeinträchtigungen nicht den Regelfall darstellen, bedarf wohl keiner ausdrücklichen Erwähnung. Demnach stehen die Chancen für den Verteidiger recht gut, bereits im Ermittlungsverfahren eine vollständige Einstellung des Verfahrens zu erreichen. Die Verteidigerschrift sollte also darauf fokussiert werden, dass eine Strafbarkeit in rechtlicher Hinsicht nicht gegeben ist, da es an dem vom Gesetzgeber geforderten Taterfolg mangelt. Hierbei kann dann elegant offen gelassen werden, ob die von dem Opfer behaupteten Handlungen tatsächlich so stattgefunden haben, oder nicht.

Es empfiehlt sich, zunächst einige Exemplare aus der Rechtsprechung zu nennen, in welchen ein solcher Taterfolg angenommen wird. Eine Gegenüberstellung dieser Extremfälle mit dem vorliegenden Durchschnittsfall wird dann sehr gut illustrieren, warum im vorliegenden Fall diese sehr hohen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Das Argumentationsgeschick des Rechtsanwaltes ist letztlich die letzte Stufe auf dem Weg zur Verfahrenseinstellung.

Festhalten lässt sich demnach folgendes: wird dem Mandanten im Ermittlungsverfahren der Straftatbestand der Nachstellung zur Last gelegt, sollte der Verteidiger stets das schwächste Glied dieses Straftatbestandes - den Taterfolg - angreifen. Hier ist auszuführen, dass eine Strafbarkeit aus rechtlichen Gründen nicht in Betracht kommt, da es an dem vom Gesetzgeber geforderten Taterfolg fehlt. Da diese Strafbarkeit erst 2007 ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden ist, existiert hierzu demnach hierzu bislang keine umfassende Rechtsprechung Oberster Gerichte. Sollte in der Hauptverhandlung die Ausfüllung des Tatbestandes - insbesondere des Taterfolges - angenommen werden, ist sicherlich über die Einlegung einer Revision nachzudenken. Hier kann gut argumentiert werden, dass das verurteilende Gericht die Reichweite des Straftatbestandes verkannt hat und das Tatbestandsmerkmal der „schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung" rechtlich falsch ausgefüllt hat.

Ein Beschuldigter sollte sich in jedem Fall noch im Ermittlungsverfahren an einen kompetenten Strafverteidiger wenden um eine vorzeitige Verfahrenseinstellung zu erreichen.